Der Baum – der Menschenfreund und Weltenträger
Unsere Vorfahren und viele von uns heute pflegten und pflegen eine persönliche Verbindung mit einzelnen oder auserwählten Bäumen. Das ist nicht weiter erstaunlich, ist doch der Baum als Lebensbegleiter und Symbol tief in unseren Bewusstseinsschichten verwurzelt. Die Samen, Eicheln, Früchte, Frühjahrstriebe, Blätter, manchmal der Saft oder gar die Bastrinde der Gattung Bäume, halfen das Überleben der Menschen-Sippe zu sichern und dies über tausende von Jahren. Die weiteren Vorzüge, die uns die Bäume im täglichen Leben boten und bieten, sind bekannt. Doch die Seelen-Beziehung geht weit über die Ernährung und den gewöhnlichen Unterhalt hinaus.
Der Weltenbaum
Die Seelenverwandtschaft
Welch ehrfürchtige Gefühle durchdringen mich, wenn ich im Schatten einer 300 jährigen Tanne – wenn ich im Kreis einer 500 jährigen Linde, – wenn ich am Stamm einer 800 jährigen Eibe oder an einer über 1000 jährigen Eiche stehe. Was weiss ein solch hölzerner Zeitgenosse wohl alles zu berichten: Seit 800 Jahren am Eingang der Kapelle und Wallfahrtsort, seit 500 Jahren Versammlungsort, Fest- und Richtplatz oder seit über 1000 Jahre an der Wegkreuzung und Richt- und Begegnungsplatz. Solche Bäume verströmen einen fast überirdischen Lebenswillen und erst recht eine bis ins innerste Mark spürbare Lebenskraft. Sie bestehen in den wiederkehrenden Jahreszeiten, trotzen Stürmen, Kälte und Hitze, kennen die die Gezeiten und den Wandel des Kosmos über Jahrhunderte. Sie bleiben innigst in sich selbst, zentriert, lassen ihre Wurzeln tief in das dunkle schwere Erdreich gleiten und tanzen in ihren Wipfeln mit dem Wind, mit dem Licht der Sonne und dem Mondenlicht. In dessen Aura fühle ich mich trotz meines reifen Alters, gleich wie ein Kind. Und richtig in den nordischen Überlieferungen wird erzählt, wir seien Abkömmlinge von den Bäumen von Ask und Embla. Da kommt man sich vor wie eine Art Hobbit der Bäume (https://livingcircles.ch/ebisch-quicke-oder-krametsbeerbaum/).
Das Symbol
Eines der wichtigsten Symbole ist der Baum als Weltenbaum. Bei den Germanen war der Baum die Verbindung der 9 Welten. Die Welten der verschiedenen Bewohner werden heute der Mittelerde, der Unterwelt und der Oberwelt zugeordnet. In der germanischen Kultur war es die Irmissäule oder Yggdrasil. Diese Weltenbäume, Säulen, Menhire und Leitern sind die Kanäle in die Reiche des Himmels oder in das Reich der Toten. Auch in anderen Kulturen gibt es Zeugnisse dazu, die Kabbala stellt einen Weltenbaum dar, auch die griechische und persische Kultur kennt den Weltenbaum und im keltischen war der Baum ein wichtiges Symbol und ebenso Heiligtum. Im alten Testament in der Genesis, beschreibt die Überlieferung wie Jakobus den Stein salbt und im folgenden Traum ihm eine Leiter erscheint die in den Himmel führt. Auch der Baum der Erkenntnis in der Überlieferung von Adam und Eva, wie sie in Genesis beschrieben wird, kann dazu gezählt werden. Der Lebensbaum, in welcher Gestalt er auch immer dargestellt wird, ist ein Ort und Symbol der Verbindung, der Erkenntnis und des Opfer. Odin hing 9 Nächte am Welten-Baum und erhielt durch sein Opfer die Eingabe der Runen. Buddha meditierte am Fusse eines Baumes, wo er seine wichtigsten Erkenntnisse erhielt. Dieser Ort ist heute noch einer der bedeutendsten Wallfahrtsort der Buddhisten. Christus starb am Kreuz, ein Weltenbaum. Er fuhr ab ins Totenreich und stieg am 3 Tag auf in den Himmel. Der Weltenbaum begegnet uns heute noch im Brauchtum. Am Palmsonntag mit einer geschmückten Tanne oder Stechpalme, die gesegnet und im Garten aufgestellt wird. In manchen Gegenden wird zur Geburt eines Kindes ein Baum gepflanzt oder eine Tanne mit dem Namen des Neugeborenen aufgerichtet. Wenn der Dachstuhl erstellt ist, wird eine geschmückte Tanne oder eine Birke zu Oberst aufgerichtet und der Segen über das Haus gesprochen. Der Maibaum als Symbol der Befruchtung der Erde durch den Kosmos und der Weihnachtsbaum als Symbol der kosmischen Zeiten und Auferstehung des Lichtes – der Sonne und der Wiedergeburt. Nicht zu letzt, in der schamanischen Kultur, der «Baum» als Vehikel um in die Welten zu reisen.
Ein Steinkreuz mit dem sehr alten Sonnen- Symbol der Raute. Wahrscheinlich war es in einem Kreis gefasst
Die Wesenheiten
Nicht nur im Schamanismus begegnen uns im Weltenbaum verschiedenste Wesen und Tiere. Vögel, Schlangen, Eichhörnchen, «Geister» und Ahnen, welche als Boten der Welten fungieren oder in verschiedenen Absichten die Welten bereisen. In unseren Träumen können sich Bäume mit ihren Geheimnissen offenbaren oder uns mit auf «Reisen» nehmen – Begegnungen mit knorrigen, geschmeidigen, listigen, weisen oder himmlischen Wesen einstellen. Unsere Märchen sind voll davon und es ist heute noch so.
Zurück in Midgard
Bäume können individuelle Geistigkeiten verkörpern, haben zudem Charakteren und besitzen verschiedene Qualitäten. Sie verkörpern ein Zentrum, das durch ihre Eigenschaften geprägt ist. Diese fassen wir in der Geomantie in den Elementqualitäten zusammen. An einem schweren Ort kann die geschmeidige Birke einen luftigen Gegenpol setzen. Umgekehrt kann die Eibe mehr Abgrenzung und Erdung schaffen. Der Holunder die Geistigkeit bereichern und als Ahnenbaum dienen. Auch die Verwendung der Hölzer kann für die seelischen- geistigen Bereiche eingesetzt werden. Ein Eschenboden der für mehr «Licht» sorgt, die Buche die strukturierend wirkt oder die Tanne, die Wärme und Geborgenheit verströmt. Doch auch in einem Park oder in der Natur prägen die Bäume mit ihrer Wesenheit, mit ihrer Präsenz, mit ihrer Verbindung zu den Welten und zum Kosmos ihren jeweiligen Ort. Denn Bäume sprechen, Bäume begleiten uns in den Träumen, Bäume spenden uns Trost und beglücken unsere Seele und unser Leben – Bäume sind Menschenfreunde.
Bilder: Pixabay
Der Weltenbaum: Von Oluf Bagge – From Northern Antiquities, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=576714