Miraculix und sein Zaubertrank
Jeder kennt den Zaubertrank, der das kleine gallische Dörfchen unbesiegbar machte, sein wichtigster Bestandteil ist die Mistel. Ein eigenartiges Kraut, das weder Kraut, noch Fisch, noch Vogel ist, sondern eigentlich ein Baum. Vielleicht ist es genau dies was dem Trank so an Kräften verlieh? Doch mirakulös ist noch einiges mehr an diesem Baum. Die Mistel richtet sich nicht nach der Schwer- oder Ziehkraft aus – warum den auch, dies tun doch schon alle anderen Bäume und Pflanzen, nein sie richtet sich von Ihrer Mitte her aus! Im Frühjahr «tastet» sie sich durch ganz langsames Wippen in den sie umgebenden Raum vor und bringt sich mittig und als buschig, kugeliges Etwas in Position. Ihre Mitte ist ihr wichtigster Bezugsort, von da aus weitet sie sich in klarer Geometrie zur Kugel aus. Damit schafft sie sich einen eigenen Weltenraum. Man könnte meinen sie sei von einer anderen Welt, wen man sie so zwischen Himmel und Erde schweben sieht und sicherlich ist es auch dies, was die Mistel so magisch erscheinen lässt. Der Volksbrauch, das Mann –Frau sich unter der Mistel küssen darf, geht einiges tiefer, den in der Übersetzung hiesse dies, unter der Mistel dürfen ohne Konsequenzen, weltliche Konventionen gebrochen werden, auch Auseinandersetzungen musste unter der Mistel Einhalt geboten werden. Dieser kleine irrwitzige Baum verströmt also auch eine besondere Aura, in der eigene Gesetzmässigkeiten vorherrschen – da ist man versucht den Hut zu ziehen.
Ist die Mistel ein enfant terrible?
Und ja, sie macht fast alles anders als die anderen. Ihre weisslichen Früchte trägt sie im tiefsten Winter zur Schau – wo finden wir ein Gleiches? Im Metapher der Sonnensymbolik wird sie so zur Widersacherin des Sommergottes Baldur, denn ihre grösste Kraft erreicht sie mit der Ausbildung der Mond ähnlichen Beeren, in der tiefsten Dunkelheit des Jahres. – Doch weiter geht’s, ihre Früchte sind keine echten Früchte und ihre Samen sind keine Samen, es sind Embryonen, die bereits in der Beere ihr grünes Kleid tragen und fähig sind Photosynthese zu betreiben! Man könnte dies als eine Art Lebendgeburt wie bei den Säugetieren bezeichnen und wenn ein Embryo durch einen Vogel einen Ankerplatz erhalten hat, so bildet er nicht wie sonst Würzelchen und Keimblätter, nein er bildet eine Art Saugnapf am Ast des Wirtsbaumes und dann sieht man drei Jahre lang gar nichts mehr.
Natürlich ist die embryonale Mistel in dieser Zeit nicht untätig, aber sie wächst nicht wie alle Anderen dem Licht entgegen, sondern treibt einen sogenannten Senker in die Rinde und in den Bast des Wirtsbaumes, von wo sie Wasser und einige Mineralsalze bezieht. Den Rest stellt sie sich selber her. Im vierten Jahr entschliesst sie sich ihr eigenes Universum zu erschaffen und treibt endlich ihr erstes Blätterpaar hervor.
Das Universum Mistel
Die ewige Jugend ist auch nur Täuschung
Ab dann erscheint jedes Jahr eine weitere Verzweigung mit neuen Blättern. Bekanntlich ist die Mistel eine immergrüne Pflanze, stösst also im Gegensatz zu ihren meisten Kolleginnen und Kollegen ihre Blätter im Herbst nicht ab, im Gegenteil man findet sozusagen mehrere Generationen von den lanzettenähnlichen, lang-ovalen Blättern an einem Busch. Die Blätter-form bleibt bei der Mistel immer gleich und sie ähnelt denen der Keimblätter vieler Pflanzenarten – ist das was Sonderbares? Ja, das ist es, denn die normalen bürgerlichen Pflanzen werfen ihre Keimblätter – wenn man so will, ihre zarteste Jugend – alsbald ab und begeben sich auf ihre persönliche Entwicklungsreise oder Metamorphose, die mit verschiedenartigen Entwicklungsstufen der Blätter begleitet wird. Nicht so die Mistel, ihre Blätter verbleiben über 30 bis 70 Jahre lang im jugendlichen „Keimblätterformat“, also in zartester Jugend. Doch trotz Immergrün, was tatsächlich das Symbol des ewigen Lebens ist und dem jugendlichem Outfit, schafft sie es nicht ganz den Traum der ewigen Jugend zu erfüllen. Ihre Blätter werden auch bei ihr nach und nach ledrig und zäh und gewisse Alters-spuren zeichnen sich unweigerlich ab. Dennoch ihr Versuch die ewige Jugend für sich in Beschlag zu nehmen ist bemerkenswert und alleine dafür hat sie sich einen Platz am Götterhimmel verdient!
Auch für die Eleganz hat sie gesorgt, ihre strenge Geometrie verleiht ihr einen edlen Rhythmus und die weisslichen Beeren dazwischen erstrahlen wie Perlen, kunstvoll gesetzt im Diadem.
Eine Perle in der Nacht
Und was ist mit der Medizin?
Nun, ich bin überzeugt das Viscum album, wie sie lateinisch genannt wird, zukünftig noch einiges von sich preis geben wird. In Versuchen stellte man fest, dass sie die morbide Zellteilung bremst bzw. sogar teilweise Tumorzellen zum Stillstand bringen kann. Der Einsatz bei Tumoren und Krebserkrankungen beschränkt sich zurzeit jedoch auf die anthroposophische Medizin und dies eigentlich auch nur zur Begleittherapie. Wie wir wissen ist die heiligste aller Mistel, die von der Eiche und auch in der anthroposophischen Medizin wird die Wirkung bzw. Anwendung je nach Herunkftsbaum unterschieden: so wird bspw. für Krebs im Verdauungs- oder Urogenitalbereich der Frauen Apfelmistel und bei Männern die Eichenmistel empfohlen. Bei Brustkrebs wird die Apfelmistel und nach den Wechseljahren bei der Frau die Kiefermistel empfohlen, bei Lungenkrebs (Frauen und Männer) die Ulmenmistel. In der Homöopathie wird Viscum bei Erkrankungen der Blutgefässe, der Gelenke, des Herzens und des Bewegungsapparates eingesetzt.
Wissenschaftliche Patientenstudien zur Wirksamkeit gegen Tumore gibt es bis heute noch nicht. Doch ich bin sicher, dass die Zeit der Ergründung der eigenständigen Mistel-Sphäre und der Mistel-Wirkung näher rückt, dass man einen solchen, gebrauten Zaubertrank von den „Römer“ her zu verhindern versucht, dass kennen wir bereits – und wir kennen auch den Ausgang der Geschichte.
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